Selfie-Medizin: Tabletteneinnahme kontrollieren per Selbstporträt

Während manch einer gerne zum Arzt geht, um sich in der Sicherheit zu wiegen, dass auch garantiert alles gut ist, sieht manch anderer einem anstehenden Besuch beim Mediziner mit Verzweiflung entgegen. Kühle Einrichtung, nüchterne Behandlung, kranke Mitmenschen, Spritzen: All das kann dazu beitragen, dass man lieber einmal zu wenig als einmal zu viel den Arzt besucht.

Die sogenannte ‚Selfie-Medizin‘ will hier nun Abhilfe schaffen. Auch man noch weit davon entfernt ist, ein Selfie zur Diagnose des Gesundheitszustands zu machen, kann die Technologie das Leben von Patient und Pfleger in bestimmten Bereichen doch vereinfachen.

Worum geht’s?

Das System ist recht simpel und soll die tägliche Medikamenteneinnahme zuverlässiger gestalten. Der Patient öffnet einfach die passende App und macht ein Video von sich, wie er die fällige Tablette einnimmt. Dieses wird dann an die Klinik oder die behandelnde Praxis weitergeleitet, wo ein Mitarbeiter jetzt protokollieren kann, dass dem Behandlungsplan Folge geleistet wurde.

Für wen ist das etwas?

Schon heute werden entsprechende Apps an einigen Krankenhäusern im Süden der USA eingesetzt. Dort geht es vor allem darum, Kosten zu sparen: Zur Überwachung der Medikamenteneinnahme sind weniger Pflegekräfte nötig, Hausbesuche nur zu diesem Zweck werden überflüssig. Aktuell werden vor allem Tuberkulosepatienten im texanischen Houston und Opioidabhängige in Tennessee mit der neuen Methode betreut. Die Ausweitung auf Hepatitis C-Erkrankte steht zur Debatte.

Ist die Kontrolle per Selfie wirklich notwendig?

Jein – natürlich kann die Medikamenteneinnahme auch weiterhin von Pflegekräften kontrolliert werden. Gerade finanziell unterversorgte Gebiete leiden jedoch an akutem Personalmangel, sodass die neue Technologie hier einen echten Lichtblick darstellt, da sich ein einziger Mitarbeiter in der gleichen Zeit um mehr Patienten kümmern kann. Dass eine Kontrolle überhaupt notwendig ist, beweist in Blick in die Statistiken: Fast die Hälfte aller Medikationszyklen werden vorzeitig abgebrochen, was zu vielen Tausenden Todesfällen pro Jahr führt. Selbst in weniger dramatischen Dimensionen kann eine nicht fachgemäße Einnahme etwa Antibiotikaresistenzen ermöglichen.

Alternativen

Kritiker bemängeln unter anderem, dass der Aufwand, die Unmengen an Videomaterial herzustellen und zu sichten die ganze Methode ad absurdum führen könnte. Effizienter sei in diesem Zusammenhang zum Beispiel der Einsatz von Nanotechnologie – mit winzigen, einfach zu verdauenden Sensoren ausgestattete Tabletten könnten so selbstständig ein Signal an den behandelnden Arzt senden, wenn sie vom Patienten eingenommen wurden. Rasante Fortschritte auf dem Gebiet der Nanotechnologie lassen diese Option weniger unrealistisch erscheinen als noch vor einigen Jahren.

Kritik und Bedenken

Da viele US-Amerikaner traditionell einen etwas lockereren Umgang mit ihren persönlichen Daten pflegen als die überdurchschnittlich auf Datenschutz und Privatsphäre bedachten Deutschen könnte die Einführung der ‚Selfie-Medizin‘ hierzulande auf Gegenwind stoßen. Was passiert zum Beispiel mit den Videos, nachdem sie angesehen wurden? Wo werden sie gespeichert und für wie lange? Wie sicher sind die Übertragungswege und welche Mechanismen stellen sicher, dass während des Sendevorgangs keine Patientendaten abgefangen werden können? Diese und andere Fragen müssten im Vorhinein ausgiebig diskutiert werden, bevor man ernsthaft von der Zukunft der Medizin sprechen kann. Diesen Luxus können sich ärmere Gebiete leider nicht leisten – dort steht zunächst die möglichst rasche Versorgung des Patienten im Vordergrund, während Datenschutzbedenken nur eine untergeordnete Rolle spielen können.

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